Lehnert & Landrock

Relektüre eines kolonialen Archivs
31.10.2025 – 01.02.2026

Keine Online-Reservierung erforderlich

Photo Elysée präsentiert eine kritische Neubetrachtung des fotografischen Archivs des Studios Lehnert & Landrock, das sich seit 1985 in der Sammlung des Museums befindet. Rudolf Franz Lehnert (1878–1948) und Ernst Heinrich Landrock (1878–1966) waren Anfang des 20. Jahrhunderts in Nordafrika tätig und schufen eine orientalistische Bildsprache für ein europäisches Publikum – stark geprägt vom kolonialen Kontext ihrer Zeit.

Die Originalarchive werden gemeinsam mit zeitgenössischen Werken von Nouf Aljowaysir und Gloria Oyarzabal ausgestellt, die sich mit der Geschichte und dem Erbe kolonialer Darstellungen auseinandersetzen.

Ausstellung

1985 übernahm das Museum das Archiv des Fotostudios Lehnert & Landrock in seine Sammlung. Das von Rudolf Franz Lehnert und Ernst Heinrich Landrock gegründete Studio war von 1904 bis 1914 in Tunis tätig und ab 1924 in Kairo. Es spezialisierte sich auf eine orientalistische Bildproduktion, die durch Fotografien und Postkarten weit in Europa verbreitet wurde. Nach der Trennung des Duos 1930 führten Landrock und später seine Erben die kommerzielle Nutzung des Bildmaterials fort.

Heute hinterfragt Photo Elysée seine Rolle als Bildvermittler und beleuchtet kritisch die eigenen Sammlungsobjekte. Zum ersten Mal werden die Originale des Lehnert & Landrock-Archivs öffentlich gezeigt. In Zusammenarbeit mit einem wissenschaftlichen Beirat untersucht das Museum die ästhetischen und politischen Dimensionen dieses Korpus im kolonialen Kontext.

Zur Öffnung weiterer Perspektiven wurde die Künstlerin Gloria Oyarzabal eingeladen, die Archive zu erforschen. Ihr zeitgenössischer Blick thematisiert den Umgang der Museen mit kolonialen Sammlungen. Ihr Werk tritt in Dialog mit jenem der saudi-arabischen Künstlerin Nouf Aljowaysir, die untersucht, wie Künstliche Intelligenz stereotype Darstellungen des Orients verstärkt.

WARNHINWEIS

Die Ausstellung enthält Bilder, die für einige Besucherinnen und Besucher verstörend sein können.

Hinweis für die Besucher:innen der Ausstellung

Photo Elysée hat sich für eine Neuinterpretation eines komplexen fotografischen Bestands entschieden. Der Inhalt der Ausstellung beleuchtet den kolonialen Kontext in Nordafrika im 19. und 20. Jahrhundert und enthält rassistische, sexistische, arabophobe, islamfeindliche und antisemitische Darstellungen sowie Nacktfotos. Die Präsentation kann beim Publikum Anstoss erregen.

Lehnert & Landrock

Rudolf Lehnert und Ernst Landrock trafen sich 1903 in der Schweiz. Aus Böhmen und Sachsen stammend, teilten sie eine Faszination für den Orient, ein von europäischer Imagination geprägter Begriff, der sich durch Literatur, Malerei, Mode und Fotografie verbreitete.

1904 eröffneten sie ihr erstes Studio in Tunis, damals französisches Protektorat. Lehnert fotografierte in Tunesien, Algerien, Ägypten und Palästina, während Landrock das Atelier leitete. Besonders erfolgreich waren ihre weit verbreiteten Postkarten.

Nach dem Ersten Weltkrieg gründeten sie 1920 in Leipzig den Verlag Orient Kunst und eröffneten 1924 ein neues Studio in Kairo. Nach ihrer Trennung 1930 setzte Landrock das Geschäft mit seinen Erben fort.

Das Studio produzierte Tausende Bilder idealisierter Landschaften, Dünen, Oasen, Harems und Odalisken – sie prägten ein stereotypisches Bild des Orients. Noch heute existiert eine Lehnert & Landrock-Buchhandlung in Kairo an derselben Adresse.

1985 übergaben die Nachkommen von Landrock das Archiv dem Musée de l’Elysée (heute Photo Elysée).

Gloria Oyarzabal

Gloria Oyarzabal Lodge (1971) ist eine spanische Künstlerin. Sie hat einen Abschluss der Fakultät für Bildende Künste der Universidad Complutense in Madrid und einen Master in Gestaltung und Entwicklung von Fotoprojekten von Blankpaper in Madrid. 2009 liess sie sich für drei Jahre in Bamako nieder, wo sie Forschungen über die Konstruktion der Idee von Afrika, die Dynamik der Kolonialisierung/Entkolonialisierung und den afrikanischen Feminismus durchführte. 2017 nahm sie an der Residenz Ranchito Matadero in Nigeria und Südafrika teil und vertiefte ihre Überlegungen zur Stellung nigerianischer Frauen in der heutigen Gesellschaft.

2023 wurde sie mit ihrer Serie USUS FRUCTUS ABUSUS_La Blanche et la Noire für den Prix Elysée nominiert, die das Gemälde von Félix Vallotton aus dem Jahr 1913 neu interpretiert und die Geschichte der Darstellung des weiblichen Körpers in der europäischen Malerei hinterfragt.

Die Arbeiten von Gloria Oyarzabal wurden international ausgestellt, unter anderem beim Fotofestiwal in Łódź, beim Lagos Photo Festival, beim FORMAT Festival in Derby, bei Guetxofoto, beim Athens Photo Festival, bei PhotoEspaña in Madrid, bei PHOTO IS:RAEL in Tel Aviv, beim Bitume Photofest in Lecce, bei den Encontros da Imagem in Braga und bei den Odessa Photo Days.

Nouf Aljowaysir

Nouf Aljowaysir (1993) ist eine saudische Künstlerin, die sich auf neue Medien spezialisiert hat und in New York lebt. Sie studierte Informatik, Mensch-Maschine-Interaktion und kreatives Programmieren an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh und an der New York University.

In ihrer Arbeit untersucht sie die Entwicklung unseres Verhaltens und unserer Interaktion mit Algorithmen. Indem sie künstlichen Intelligenz-Tools intime Fragen stellt und ihre konventionelle Verwendung umkehrt, offenbart sie die Logik ihrer Funktionsweise und die kapitalistischen Motive, die ihre Ergebnisse prägen. Die Künstlerin nutzt ihre Forschungen, um ihre eigene Geschichte zu hinterfragen und darüber nachzudenken, wie diese Systeme unsere Denkweisen und unsere Sichtweise beeinflussen.

Nouf Aljowaysir war Artist in Residence bei ThoughtWorks Arts und im Somerset House in London. Ihre Arbeiten wurden international ausgestellt, unter anderem im Jeu de Paume in Paris, im Centre Pompidou in Paris, im Museo Tamayo in Mexiko-Stadt, im M+ in Hongkong, bei CPH:DOX in Kopenhagen und beim Tribeca Film Festival in New York. Ihr Film Ana Min Wein? (Where Am I From?) gewann den Lumen Prize 2023 in der Kategorie Bewegtbild und wurde im Juni 2024 von The New York Times – Op-Docs ausgestrahlt.

Musik

Entdecken Sie eine Auswahl von Stücken rund um die Ausstellung Lehnert & Landrock. Relektüre eines Kolonialen Archivs.

Ausstellungstexte

Kredite

Relektüre eines kolonialen Archivs

Kuration
Fanny Brülhart
In Zusammenarbeit mit Julie Bonzon, Julie Dayer und Elisa Rodriguez

Wissenschaftlicher Ausschuss
Beya Othmani, unabhängige Ausstellungskuratorin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am MoMA (The Museum of Modern Art, New York)
Nadia Radwan, ausserordentliche Professorin, Leiterin der Abteilung Bildende Kunst, HEAD – Genf (Hochschule für Kunst und Design, Genf)
Christelle Taraud, Historikerin und Feministin, Dozentin an der NYU Paris (New York University, Paris) und assoziiertes Mitglied des Centre d'Histoire du XIXe siècle (Universität Paris I/Paris IV, Paris)

Szenografie
Atelier Gut

Grafikdesign
Herendi Artemisio

In Anlehnung an die im Photo Elysée gezeigte Ausstellung präsentiert das MCBA Vallotton. Forever.

Partner

Die Ausstellung wird von der Fondazione Rossi di Montelera, der Fondazione Coromandel und dem Bundesamt für Kultur unterstützt.

Fondation VRM