In Salem wurden unheilbringende Hexen angeklagt und hingerichtet, während in ganz Europa besessene Nonnen wie Katzen miauten und sich im Krampf verrenkten. In Internaten in der Schweiz und in Deutschland begannen Hände zu zittern, Lachkrämpfe schüttelten Studentinnen in Tansania durch. In Afghanistan fielen heranwachsende Mädchen in Ohnmacht und 600 Schülerinnen in einem mexikanischen Internat konnten plötzlich nicht mehr geradeaus laufen. In den Kleiderfabriken Kambodschas haben in den letzten zehn Jahren Tausende von Frauen das Bewusstsein verloren und in den USA wurden Cheerleader ohne jeden biologischen Grund von nervösen Ticks und Krämpfen erfasst.
Die Massenhysterie, auch "kollektive Hysterie" oder – ein heute weithin anerkannter Begriff – "psychogenes Massenleiden" genannt, kommt zustande, wenn eine Gruppe eng zusammenhaltender Frauen unerträglichen gesellschaftlichen Umständen ausgesetzt wird, denen sie nicht entkommen kann. In einer solchen Stresssituation beginnen sie alle, ohne jede organische Ursache, unkontrollierbare Bewegungssymptome, wie beispielsweise Zittern, Weinen, Krämpfe, nervöse Ticks oder sogar Ohnmachtsanfälle, zu entwickeln. Diese Symptome erinnern oft an tranceähnliche Zustände und halten mitunter monatelang an. Obwohl dieses Phänomen bereits unter verschiedenen kulturellen und wissenschaftlichen Aspekten untersucht worden ist, sind zwei Grundsatzfragen weiterhin ungeklärt: Wie verbreitet sich das Phänomen und warum entsteht es hauptsächlich unter jungen Frauen, speziell im Teenageralter?
Mit dem Begriff "Hysterie" bezeichnete man früher gern medizinisch als "schwierig" geltende Frauen. Der Medizinhistoriker Robert Woolsey hält Hysterie für eine Protosprache, die Symptome sind für ihn ein "Code, der verwendet wird, um eine Botschaft zu überbringen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in Worte gefasst werden kann."
Geht man der Vorstellung von Massenhysterie als einer Form unbewussten Protests nach, so entdeckt man, dass die Wellen oft junge Mädchen oder Frauen treffen, die in niedrigen gesellschaftlichen Positionen mit schwierigen Situationen konfrontiert werden – gnadenlose Internatsregeln, menschenverachtende Arbeitsbedingungen in einer Fabrik oder Isolation in religiösen Einrichtungen wie Klöstern. Josefina Ramírez, eine medizinische Anthropologin aus Mexiko, vertritt dazu eine interessante Ansicht: Massenhysterie könnte eine kollektive körperliche Antwort als Symbol für den Kampf junger Frauen sein, die sozialer Ungleichheit ausgesetzt sind.
On Mass Hysteria, das Auftaktkapitel zu A History of Misogyny, geht der Hypothese einer historischen Protosprache weiblichen Protests nach. Das Projekt zieht den vorherrschenden psychologischen Ansatz in Zweifel, demzufolge Frauen selbst an all jenen Krankheiten schuld sind, die die Medizin nicht erklären kann, und betont gesellschaftliche Faktoren wie soziale und politische Unterdrückung. Mit On Mass Hysteria will die Künstlerin das gemeinsame Leiden an generationenübergreifenden Traumata zeigen, die von Frau zu Frau weitergegeben und von der Gesellschaft meist ignoriert oder heruntergespielt werden.